|
„In diesem Regieraum steckt die Magie der Show. Wenn ich hier klicke…“
Vivien Tolnai deutet auf ein Schaltpult vor ihr. Eine Unzahl von Knöpfen ist zu sehen, ein jeder ist mit Kleber und Filzstift beschriftet. Man liest Namen aus dem Nachwuchs: Samir Choudhry, Kenji Hirata, Robbin Zick. Und Liam Spencer.
„…spielt die Musik von Buzzkill und für Liam beginnt ein neuer Versuch. Ich kenne ihn ziemlich gut und oh, ich bin sehr, sehr sicher…“
Ein Lächeln umspielt das Lächeln der Ungarin während sie ihren Satz vollendet.
„…dass er richtig angepisst ist, hier im Development-Bereich einen neuen Anlauf nehmen zu müssen. Daran haben all die Monate nichts geändert, in denen er vom Schirm verschwunden war. Er hatte sicher damit gerechnet, sich direkt in der GFCW zu etablieren. Das Zeug dazu, da bin ich mir immer noch sicher, hat er. Es hat eben nicht sein sollen.“
Sie schwingt im Computerstuhl herum und gibt den Blick auf den Rest des Regieraums frei: Respekt an jeden, der in diesem Ozean aus Knöpfen, Kabeln und Bildschirmen die Orientierung behält.
„Seine Story zeigt aber auch, wie eng das Leistungsniveau in dieser Liga ist. Ein kleiner Fehler, etwas Unerfahrenheit, und du gehst unter. Jetzt kann Liam zeigen, dass er daraus gelernt hat.“
Sie fährt mit der Hand die Knopfreihen entlang. Drei Plätze über der Beschriftung Liam Spencer ist der Name seines Gegners bei Proof of Concept angebracht.
„Aber auch hier bekommt er nichts geschenkt. Es geht gegen Renegade. Ich habe unseren Schweizer in den vergangenen Wochen genau beobachtet und konnte zwei Dinge feststellen. Erstens: Er ist genauso exzentrisch, wie man bei seinem Aussehen erwartet. Zweitens: Er ist verdammt gut. Sky ist the Limit. Das gilt für Liam auch, wenn er endlich seine PS in den Ring bekommt.“
In ihrem „Wenn“ liegt Hoffnung und gleichsam sanfte Provokation in Richtung Buzzkill.
„Ich freue mich auf den Kampf. Für mich eines der Duelle mit der höchsten Leistungsdichte. Für neutrale Zuschauer könnte es ein Fest werden.“
::: Cut :::
Es ist ein warmer Frühlingstag und Renegade schleppt einen Sack Zement einen Bergpfad hinauf. Einfach so. Dabei ist er barfuß und — rechnet man den grünen Facepaint nicht mit — bis auf knielange Jeansshorts unbekleidet.
Der Irrsinn seiner Handlung wird dadurch potenziert, dass es ihn über jedes Maß hinaus erschöpft. Er gibt Laute von sich, aus denen längst die leiseste Ahnung von Menschenähnlichem verschwunden ist. Alles ist gepresstes animalisches Grunzen. Renegade trägt den Zement wie der mythologische Atlas die Weltkugel, mehrmals hat es den Anschein, dass ihn das Gewicht nun vorne überstürzen und im Schotter des Bergpfades begraben wird.
„PUSH. DICH. MANN.“
Jedes Wort entlässt er als Schmerzensschrei in die umliegenden Gipfel. Nun begleitet ihn sein Echo auf dem Weg. An einer besonders steilen Stelle bleibt er stehen, schließt die Augen, sein Gesicht wird weiß, er beginnt zu schwanken.
„LOS. JETZT.“
Seine Füße tragen ihn weiter, er nimmt sogar an Tempo auf. Wo auch immer die Kraft herkommt, sie trägt in das steilste Stück hinauf und dann plötzlich wird es eben: Der Gipfel ist erreicht. Renegade wirft den Sack von sich und noch bevor der Zement den Boden erreicht, fällt Renegade selbst. Er liegt stoßatmend auf dem Schotter und starrt in den Himmel hinauf. Langsam, während die Wolken am Himmel vorüberziehen, findet er zu seinem Bewusstsein zurück.
„Im Tod sind wir alle gleich. Und man ist eine verdammt lange Zeit tot.“
Die Pointe dieser Aussage bleibt ihm zunächst wortwörtlich im Halse stecken, denn der völlig ausgelaugte Körper dankt ihm die Anstrengungen mit einem Hustenkrampf. Als Renegade wieder zu Luft gefunden hat, setzt er sich im Schneidersitz auf. Schweiß läuft an seinem Körper in Rinnsalen herunter und perlt von den Muskeln.
„Also nutze ich jede Minute im Leben, um nicht wie alle andern zu sein. Vielleicht muss man verrückt werden, um zu sich selbst zu finden. Aber das ist okay.“
Seine aufgerissenen Augen und die Erinnerung an seinen Bergaufstieg legen nahe, dass Renegade davon weniger entfernt ist, als er vielleicht denkt. Oder ist er sich darüber bewusst? Er strubbelt sich mit einer schmutzigen Hand durchs Haar, mit der anderen wühlt er gedankenverloren im Schotter unter ihm.
„Sei du selbst. Push deine Limits. Höre auf niemanden außer auf dein Herz.“
Letzteres kann nur metaphorisch gemeint sein. Sein nach wie vor stoßweise gehender Atem ist ein Indiz dafür, dass das Pumporgan in seiner Brust wenig vom heutigen Tag hält. Doch Renegade gönnt sich und seinem Körper keine Schonung. Er stemmt sich hoch und steht auf wackeligen Beinen in der Sonne.
„Wenn du denkst, jetzt ist das Ende erreicht…“
Seine unsicheren Schritte verraten das Taumeln des Kreislaufs. Irgendwie jedoch führen sie ihn in Richtung des Zementsacks.
„…fängt es gerade erst an.“
Er beugt sich vor, lädt sich den Sack auf die Schulter und läuft los. Es ist ein warmer Frühlingstag und Renegade schleppt jetzt einen Sack Zement einen Bergpfad hinunter.
::: Cut :::
„Fuck.“
Er mag aus der Generation Smartphone stammen, doch die Art und Weise, mit der „Buzzkill“ Liam Spencer im Netz scrollt, hat etwas Unbeholfenes. Seine an den Knöcheln verschorften Hände sind zum Kämpfen gemacht, nicht um durch das Internet zu navigieren. Offenbar liest er Kommentare aus dem Ankündigungsvideo seines bevorstehenden Matches.
„Also ich halt nich‘ viel von solchen Pissern, die sich immer über Medien aufregen und sich dabei für was Besseres halten. Von wegen unethischer Berichterstattung oder was sie damit immer haben. Verdammte Klugscheißer.“
Seiner Verachtung verleiht er nicht nur in der Wortwahl, sondern auch im Tonfall Ausdruck. Jeder Satz wirkt vom Mann aus Blackburn wie dem Kameramann vor die Füße gespuckt.
„Aber in einer Sache haben sie schon recht: Es wird eine Menge Dreck geschrieben. Ich hab’s ja selbst erlebt. In einem Monat bist du der nächste heiße Scheiß und im nächsten ein überschätzter Typ, den man besser in die Wüste schickt.“
Eine etwas zugespitzte, aber nicht falsche Umschreibung seines Main Roster-Runs. Vom Indydarling bis zum beinahe abgeschriebenen Talent dauerte es nicht lange. Eine Kampfbilanz von 0 Siegen, 0 Remis und 4 Niederlagen spricht Bände.
„Aber fuck drauf, wie meine GFCW-Karriere bislang gelaufen ist. Fuck drauf, für was sie mich halten.“
Die Energie, mit der er diese Aussage in die Welt rotzt, mag andeuten: Ganz so egal wie vorgegeben ist es ihm nicht.
„Ich bin die ganze Zeit Liam Spencer gewesen. Buzzkill. Oder einfach der Typ aus Blackburn. Ist mir scheißegal, wie ihr mich nennt. Ich weiß, was ich draufhabe.“
Die Kamera muss eine 180 Grad-Drehung unternehmen als Spencer plötzlich zu einem Schlag ausholt und wuchtvoll einen Dummy trifft, der abseits des Bildes auf seinen Einsatz gewartet hatte. Die Trainingsattrappe schwingt zurück und wird von Spencer mit einem bösen Blick bedacht.
„Egal ob Kicks oder Punches: Ich kann jeden ausknocken. Egal ob du ein Riese bist oder ein Midget. Egal ob du vor Fett triefst oder so ein bescheuerter Wichser bist, der Zement auf Berge schleppt. Macht doch, was ihr wollt. Schreibt meinetwegen, dass ich besonders unter Druck stehe. Am Ende aber…“
Er geht in Position, macht einen Schritt nach hinten und nimmt Schwung auf.
„…werdet ihr alle merken, wer Liam Spencer wirklich ist. Und dann könnt ihr mich mal.“
Buzzkill zieht voll durch und kickt dem Dummy mit solcher Wucht an den Oberkörper, dass die Attrappe mächtig zu schaukeln beginnt. Ein weiterer Punch und sie liegt am Boden. Grimmig blickt Liam Spencer auf sein Werk.
::: Fade-Out :::
|
